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Mit guten Mächten im Widerstand

Sein Name ist Dietrich. Ich habe ihn nie kennen gelernt – und trotzdem hat er mich immer fasziniert, wenn ich ihm begegnet bin. Als 13-jähriger zum ersten Mal. Er kam zu mir in einem sehr eingängigen Lied, das am Silvesterabend gesungen wurde: Von guten Mächten wunderbar geborgen. Viele Jahre später bin ich dorthin gefahren, wo er ermordet wurde. Und ich bin den langen Weg vom Bahnhof bis zum Eingangstor seines letzten kurzen Aufenthaltsortes gegangen. Gefühlt ein langer Weg, bei dem ich mich immer gefragt habe: Wie konnten die Menschen, die am Hügel wohnten, einfach nur wegsehen und ihr eigenes Leben weiterleben?

 

Am 9. April 1945 wurde Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg als Widerstandskämpfer gegen Adolf Hitler und als Mitglied einer Verschwörung umgebracht. Ich habe bei meinem Besuch im KZ in einer Zelle gesessen (vielleicht war es sogar seine letzte?) und ich habe unter dem Galgen im Hof gestanden, an dem er und viele andere ihren letzten Atemzug taten. An der Kirche in Flossenbürg gibt es eine kleine Gedenktafel mit schlichten Worten: „Dietrich Bonhoeffer. Ein Zeuge Jesu Christi unter Brüdern.“

 

Konsequente Nachfolge bis in den Tod

 

Zu seinem 75. Todestag gibt es viele Artikel, Features und Produkte. Ich will den vielen nicht noch ein Feature oder einen Hintergrund-Artikel hinzufügen. Der beste, den ich die letzten Wochen gelesen habe, stammt von dem Journalisten Christoph Irion und wurde hier veröffentlicht:

 


https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/kirche/2020/04/04/er-hatte-ueberhaupt-nichts-pastorales/


 

Mir geht es mehr darum, was mich an Dietrich Bonhoeffer fasziniert und warum. Das Lied „Von guten Mächten“ habe ich gefühlt tausendmal gesungen. Teilweise oberflächlich, teilweise sehr tiefgründig. Ich erinnere mich an das erste Silvester nach dem Tod unseres Sohnes. Da wurden Zeilen wie „Und reichst du uns den tiefen Kelch den bittern des Leids gefüllt bis an den höchsten Rand. So nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern, aus deiner guten und geliebten Hand“ auf einmal so real.

 

Mich haben die Bücher von und über Dietrich Bonhoeffer seit vielen Jahren begleitet, von Eberhard Bethge bis hin zu Eric Metaxas, über das Buch „In des Teufels Gasthaus“ von Ruth von Wedemeyer, bis hin zu Ruth von Kleist-Retzow „Mit dem Mut einer Frau“, das ich bei Brendow als Verleger selbst veröffentlichen durfte. „Operation Walküre“ und „Die letzte Stufe“ habe ich ebenso immer wieder geschaut, wie Originaltitel von Bonhoeffer gelesen. Und immer noch bewegen mich die Fragen: Wie kann ein engagierter Christ, wie kann ein Nachfolger Jesu in den Widerstand gehen und sich an einem Attentat beteiligen?

 

Meine Antwort auf diese Fragen heute? Genau weil er ein engagierter Christ war und ein konsequenter Nachfolger Jesu. Genau, weil er nicht nur in seinem Kopf glaubte, sondern weil er das lebte, was er glaubte. Für ihn waren Glauben und Vertrauen fast dasselbe. Beten und Tun, Liebe zu Gott und Treue zur Erde klafften bei ihm nicht auseinander. In seiner Zeit in New York und später auch in Berlin kümmerte er sich um Jugendliche. Selbst eine verwilderte Konfirmandengruppe brachte er nach kurzer Zeit auf die Reihe. Vielleicht hat er da schon gelernt, was ihn später auszeichnete: Bei Jugendlichen musst du echt sein!

 

„Das Ende ist für mich der Anfang“

 

Aus einer eher atheistischen Familie stammend ist Bonhoeffer derjenige, der später als Pfarrer auch in den Synoden und innerhalb der „Bekennenden Kirche“ für einen persönlich erlebbaren Gott plädiert: „Jedes Wort der Schrift ist ein Liebesbrief Gottes an uns persönlich“.

 

Wenn dieser Liebesbrief in den Dreck getreten wird, und menschenverachtende Stiefelbanden darüber trampeln, während sie antijüdische und rassistische Parolen skandieren, dann ist für Bonhoeffer klar gewesen: Zum verantwortlichen Handeln gehört Widerstand gegenüber dem Bösen, Kampf gegen das Unrecht.

 

„Wenn ein Wahnsinniger mit dem Auto durch die Straßen rast, kann ich, der dabei ist, nicht nur die Überfahrenen trösten oder beerdigen, sondern ich muss dazwischen springen und ihn stoppen.“

 

Deshalb gehörte Dietrich zu der Gruppe um Graf von Stauffenberg, die das Attentat auf Hitler ausübten.

 

Am 5. April 1943 wird Bonhoeffer verhaftet und kommt ins Gefängnis in Tegel. Dort entsteht der eindrückliche Text „Wer bin ich“. Lektüre äußerst empfohlen. 

Bei Mithäftlingen und selbst bei den Wärtern der verschiedenen Gefängnisse war Bonhoeffer respektiert und angesehen. Weil er sich immer um die anderen kümmerte. Und so lebte er das, was er seinen Theologie-Studenten immer zu vermitteln versuchte: „Kirche ist dann Kirche, wenn sie für andere da ist.“

 

Als ihn die Gefangenen einen Tag vor ihrem Tod im KZ Flossenbürg in der Dorfschule Schönberg am 8. April bitten, eine Morgenandacht zu halten, sträubt sich Bonhoeffer zunächst. Doch schließlich liest er 1. Petrus 1,3: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns in seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.“

 

Vielleicht war es diese Inspiration, die ihn nur einen Tag später getrost hat sterben lassen. Als die Tür aufgerissen wird und ein Gestapo-Mann brüllt: „Gefangener Bonhoeffer, fertigmachen und mitkommen“, weiß Bonhoeffer, dass dieser Weg ins KZ Flossenbürg sein letzter Weg sein wird. Zum Abschied dreht sich der Gefangene zu seinen Mitgefangenen um und sagt: „Das ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens.“

 

Wenige Stunden später wird er erhängt, aber sein Glaube, seine Gedanken, seine Aufrichtigkeit sind heute noch lebendig. Ich bin überzeugt, sie werden mich mein Leben lang begleiten, denn auch ich möchte gerne „von guten Mächten wunderbar geborgen sein.“

 

 

 

Literatur:

 

Wolfgang Huber: Auf dem Weg zur Freiheit

 

Eric Metaxas: Bonhoeffer – Pastor, Agent, Märtyrer und Prophet


Jürgen Werth, Lieber Dietrich, dein Jürgen

 

Dietrich Bonhoeffer: Nachfolge

 

Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung

 

Sandro Göpfert: 40Tage mit Dietrich Bonhoeffer

 

Film:

 

Bonhoeffer: Die letzte Stufe – Agent der Gnade